1000 Jahre Wathlingen: Genießbares Brot ist ein Muss
(mt) Der Blick auf das weiße Fachwerkhaus am Bohlgarten 2 offenbart den symmetrischen Aufbau: in der Mitte ein niedriges Gebäude, links und rechts die Zwillingstürme. Auf dem Dach ein für ein Wohnhaus ungewöhnlich hoher Schornstein. Etwa 100 Jahre lang wurden hier Brot und Kuchen gebacken.
Am Ausgang des 18. Jahrhunderts war der Obrigkeit klar, dass die bisherigen Methoden der Landwirtschaft die wachsende Bevölkerung nicht mehr ernähren konnten. Ein langer Reformprozess begann: Agrarreformen, Bauernbefreiung, Albrecht Thaers rationelle Landwirtschaft und Justus Liebigs Mineraldünger ließen nicht nur die Ernteerträge rasant steigen, sondern auch die Arbeitsbelastung der Bauern. Die wussten sich nicht anders zu helfen, als alles, was nicht unmittelbar mit der Feldbestellung zu tun hatte, auszulagern. Profis übernahmen jetzt in Backstuben das zeitaufwendige und brandgefährliche Brotbacken.
Wer den Einfall hatte und wann genau von 48 Wathlinger Bauern die Backhausgenossenschaft gegründeten wurde, liegt im Dunkeln. Die Grundidee war bestechend: Die Bauern lieferten im Backhaus ihr Korn ab und bekamen gegen eine geringe Backgebühr „genießbares Brot“, wie es in den Pachtverträgen hieß. Das erste Dokument, das über die Genossenschaft Auskunft gibt, ist ein Kreditvertrag für das Backhaus über 1000 Thaler Courant aus dem Jahr 1869. Damals stand nur der Mittelteil des heutigen Gebäudes. Das Genossenschaftsmodell war ein Erfolg. 1911 baute die Genossenschaft den linken Turm mit einem Café und Kammern für die Hausmädchen, Lehrlinge und Gesellen. 1924 folgte der rechte Turm. Hier richteten die Genossenschaftler eine hochmoderne Backstube ein. Im linken Turm gab es seitdem einen Kolonialwarenladen.
Persönliche Rückschläge der damaligen Pächterfamilie und der Krieg setzten dem Aufstieg des Backhauses zunächst ein Ende. Erst als 1949 Rudolf Wittig als Pächter für 9 Jahre die Backstube übernahm, konnte die Bäckerei an alte Erfolge anknüpfen. Jedoch war die Zeit über den alten Genossenschaftsgedanken hinweggegangen. 1958 entschieden die Mitglieder, die Genossenschaft aufzulösen. Das Haus wurde verkauft und beherbergte eine Zeitlang noch ein Ladengeschäft, bevor es erneut verkauft wurde. 1987 renovierte der neue Besitzer das Backhaus gründlich und seitdem wird es als Wohnhaus genutzt.